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1 Jahr Nola – 1 Jahr Leben mit einem Hund aus dem Tierschutz

Kinder, wie die Zeit vergeht! Inzwischen ist Nola bereits seit einem Jahr hier – und in der Zeit ist einiges passiert! Ich habe einige Fragen von euch dazu bekommen, die ich heute beantworten möchte.

Über die ersten vier Wochen mit ihr habe ich bereits hier berichtet.

Über Angst

Nolas Angst vor dem Draußen ist noch immer die größte Baustelle hier. Während sie drinnen super entspannt ist und beispielsweise einfach im Wohnzimmer schläft, während ich im Arbeitszimmer am Schreibtisch sitze, macht ihr das Draußen noch immer Angst. Genauer gesagt: der Lärm in Straßen, fremde Menschen und Radfahrer beispielsweise. Wenn man nämlich mit ihr im Grünen ist, ist sie vollkommen in ihrem Element, da flitzt sie durch Wiesen und ist kaum zu stoppen. Der Rückruf klappt schon wirklich gut, auch wenn die Schleppleine noch immer am Geschirr befestigt ist.

Es gab Phasen, da war Nolas Angst draußen riesig. Kurze Spazierrunden um einfach nur Pipi zu machen waren für mich und für sie absoluter Stress. Ich habe sie zwischenzeitlich doppelt gesichert (also am Halsband und am Geschirr), weil sie teilweise so plötzlich losgesprungen ist und weg wollte, dass ich Angst hatte, sie nicht halten zu können. Auch das Training, was ihr anfangs sehr gut getan hat, ist nach wenigen Monaten irgendwie ins Stocken geraten und hat uns nicht wirklich vorwärts gebracht. Obwohl ich wöchentlich mit ihr trainiert habe, hat sie irgendwann keine Fortschritte gemacht, weshalb ich im Frühjahr diesen Jahres die Hundeschule gewechselt habe. Denn irgendwann ist mir bewusst geworden, weshalb sie keine Fortschritte gemacht hat: ich hatte noch immer keinen Zugang zu ihr und ihrer Angst und habe noch keinen Weg gefunden, ihr Sicherheit zu vermitteln.

Seit einigen Monaten bin ich bei einer neuen Hundeschule mit Nola im Einzeltraining und was soll ich sagen: das war die beste Entscheidung. Das neue Training hat bereits nach kurzer Zeit deutlich gemacht, was Nola braucht und wie ich das umsetzen kann: nämlich schlicht und ergreifend Sicherheit, damit sie sich an mir orientieren kann. Es war verdammt viel Arbeit und läuft natürlich noch immer noch nicht ganz rund; aber die Fortschritte, die sie in dem Bereich gemacht hat, sind enorm. Die Spaziergänge laufen deutlich stressfreier.

Wir haben in den letzten 12 Monaten viele tolle Erlebnisse gehabt, aber auch vieles was nett formuliert einfach nur total scheiße war. Aber auch solche Situationen gehören leider dazu – und im besten Fall habe ich daraus gelernt.

Es gab viele erste Male: der erste Ausflug in eine große Zoohandlung, das erste Mal in einem fremden Haus, erste richtige Hundekontakte, das erste Mal Leckerli von Fremden annehmen … Man konnte wirklich dabei zusehen, wie sie sich immer mehr eingelebt hat und viele Dinge die am Anfang noch unmöglich schienen, Stück für Stück zur Normalität wurden.

Aber auch generell hat sich sehr viel Normalität bei uns eingespielt. Ein geregelter Alltag, feste Routinen und deutlich mehr Ruhe. Sie ist mit ihren 11/2 Jahren natürlich noch total verspielt und hat auch ab und an ihre 5-Minuten, aber das ist kein Vergleich mehr zu dem Stress der ersten Wochen.

Diagnose Angsthund

Ich hab mir lange versucht einzureden, dass Nola einfach ein bisschen ängstlich ist – sie braucht einfach noch Zeit, um anzukommen und mit der Routine wird das alles bestimmt besser. Das Wort Angsthund habe ich nie in den Mund genommen – zu groß waren meine eigene Vorurteile, mein eigenes negatives Bild von solchen Tieren. Wenn man das Wort Angsthund hört, denkt man an zitternde, geduckt laufende Tiere, die sich nicht anfassen lassen, die zurückweichen vor Menschen und scheinbar ein furchtbar trauriges Leben führen. Das traf doch (fast) alles gar nicht auf Nola zu! Sie liebt es zu kuscheln, ist total verspielt und fröhlich und überhaupt kein trauriger Hund. In Gesprächen mit der neuen Trainerin hat es jedoch irgendwann klick gemacht – Nola ist ein Angsthund. Umweltreize machen ihr große Angst und anfangs war nicht mal ein richtiger Auslöser nötig, dass sie panisch an der Leine zog. Diese „Diagnose“, was sich nach einem Eingestehen angefühlt hat, war jedoch so wichtig für das weitere Training und auch für mein eigenes Verhalten. Vorher war ich teilweise so frustriert wenn sie panisch wurde, und ich gar nicht genau erkennen konnte, woher das kam. Aber das Wissen, dass es für sie nicht zwingend einen konkreten Auslöser brauchte, dass ihr Fluchtverhalten einfach die für sie einzige Lösung war, um aus der Situation rauszukommen, hat mir tatsächlich total geholfen. So wurde ich entspannter und konnte mit der neuen Trainerin an alternativen Strategien arbeiten die Nola zeigen, dass es viel lohnenswerter ist, sich an mir zu orientieren, statt die Flucht zu suchen.

Eure Fragen

Was würdest du sagen, ist der größte Fortschritt den sie gemacht hat?

Dass sie entspannt an der Leine läuft. In der ersten Zeit war es nahezu unmöglich, mit ihr durch die Straßen zu gehen, weil sie quasi durchgehend an der Leine gezogen hat und panisch war – entsprechend war auch ich dabei sehr angespannt. Da hat sich inzwischen so viel verändert, was für deutlich mehr Entspannung im Alltag sorgt.

Wie oft hat Nola Kontakt zu anderen Hunden?

Anfangs konnte Nola mit anderen Hunden quasi nichts anfangen – es gab nur wenige Ausnahmen, wie die Hündin meiner Eltern. Erst seit Anfang diesen Jahres, seit sie deutlich entspannter ist, interessiert sie sich auch für andere Hunde. Tatsächlich hat sie inzwischen im Prinzip täglich Kontakt zu anderen Hunden, auf den großen Gassirunden. Sie liebt es, mit anderen Hunden zu spielen: am liebsten rennt sie mit anderen Hunden um die Wette. Diese Kontakte haben ihr auf jeden Fall geholfen, noch mehr anzukommen und sich an viele Dinge zu gewöhnen.

Wie äußert sich ihre Angst?

Es gibt vier Bewältigungsstrategien von Hunden, mit Angst umzugehen: flight, freeze, fight und fiddle. Bei Nola ist es immer der erste Punkt: die Flucht. Sie versucht möglichst weit weg von dem Auslöser ihrer Angst zu kommen, weshalb ich sie eine ganze Zeit lang doppelt gesichert habe. Inzwischen habt sie durch das Training allerdings eine Alternative zur Flucht gelernt, nämlich die Orientierung an mir, wodurch ihr Fluchtverhalten wirklich selten geworden ist. Dadurch muss ich sie auch nicht mehr doppelt sichern und habe richtig gemerkt, dass die Leine viel entspannter in meiner Hand liegt und ich sie nicht immer krampfhaft festhalte.

Wie habe ich mich in der Zeit verändert?

Ich war anfangs sehr angespannt und vor allem un-entspannt. Nolas Unruhe hat sich auf mich übertragen – ich wollte nichts falsch machen, wollte an vielen Stellen doppelt und dreifach auf Nummer Sicher gehen. Je mehr Nola hier angekommen ist, desto entspannter wurde ich auch. An viele Situationen habe ich mich irgendwann gewöhnt, sie wurden zum Alltag und stressen mich nicht mehr. Aber auch generell hab ich durch Nola gelernt, dass viele Dinge, die ansonsten Stress-Faktoren für mich waren, oder über die ich mich geärgert habe, eigentlich total irrelevant sind und es viel wichtigere Dinge gibt. Ich habe gelernt, dass mir bestimmte Routinen gut tun (wie bspw. morgens immer zur gleichen Zeit aufzustehen, die langen Gassirunden etc.) und mich total erden. Ich habe aber auch gelernt, auf mein Bauchgefühl zu hören, besonders in Situationen die Nola überfordern können (viele fremde Menschen auf einmal bspw.) und reagiere entsprechend, bzw. weiß, was Nola braucht um mit der Situation klar zu kommen.

Bist du der Meinung, dass Nola jetzt angekommen ist?

Tatsächlich hatte ich dieses Gefühl erst vor einigen Wochen – dass Nola jetzt wirklich komplett da ist. Ich kann gar nicht mehr genau sagen, was genau der Auslöser dafür war, aber irgendwann hat sich das Gefühl eingestellt, dass wir das gröbste überstanden haben und sie inzwischen komplett da ist. Es war auch kein bestimmtes Ereignis oder Erlebnis, sondern ich hatte einfach irgendwann dieses Gefühl.

Macht ihr ein spezielles Training? Oder wie gehst du wegen ihrer Angst vor?

Nachdem ich festgestellt habe, dass klassische Signalarbeit bei ihr nicht so wirklich anschlägt, habe ich mich nach Alternativen umgeschaut und bin auf Therapeutisches Trailen gestoßen, was auch hier in Mainz an einer Hundeschule angeboten wird. Im Grunde geht es darum, einen Menschen auf Grund einer Geruchsprobe zu finden – also erst mal klassisches Mantrailing, was auch z.B. Rettungshunde machen. Beim Therapeutische Trailen geht man genau wie beim Mantrailing vor, mit dem Unterschied, dass ganz bewusst die Reize, die dem Hund Angst machen, Stück für Stück herangeholt werden. So kann man den Hund an diese Reize heranführen und noch mehr Vertrauen zwischen Mensch und Hund aufbauen. Ich finde das total faszinierend und obwohl Nola noch recht am Anfang ist, zeigt sich schon jetzt, wie gut sie das macht, wie viel Spaß sie daran hat und was für eine tolle Auslastung das für sie ist. Hier könnt ihr übrigens noch mehr dazu nachlesen.

Würdest du wieder einen Hund aus dem Auslandstierschutz adoptieren?

Ja. Und zwar ohne zu zögern. Auch wenn besonders die erste Zeit mit Nola wirklich anstrengend war und ich mir bewusst bin, dass einige ihrer Probleme uns möglicherweise für immer begleiten werden, würde ich es wieder genauso machen.

Ich bin stolz wie bolle auf diesen verrückten, lieben Hund – denn sie hat so viel gelernt und hat auch mir so viel beigebracht in den letzten Monaten. Sie bereichert meinen Alltag und zeigt mir immer wieder aufs Neue, was wirklich wichtig ist. Wir sind noch lange nicht an einem Punkt angekommen, an dem alles reibungslos abläuft und uns nichts mehr aus der Bahn wirft, aber wir sind inzwischen ein wirklich gutes Team geworden und ich weiß, dass uns die kommende Zeit einfach immer weiter zusammen schweißt.

Bilder: Lichtrausch Fotografie

Eure Julia

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